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Ein Paradoxon

Die „Welcher Weg?“- Frage

Um allen Interessierten – auch denen, die der Physik nicht nahe stehen – möglichst klar zu vermitteln, was eigentlich das Interpretationsproblem bei der Quantentheorie ist und warum es sich dabei auch um ein kulturelles Problem handelt, hier ein typisches Beispiel: das Paradoxon der „zwei Wege“, das auf anschauliche Weise die Problematik illustriert.

Betrachten wir folgendes Experiment:

Zwei-Wege.jpg

Ein Lichtstrahl läuft (links oben beginnend) durch die skizzierte Versuchsanordnung. Die Intensität des Lichts wird so gering gewählt, dass sich fast mit Sicherheit nur ein einziges Photon im dargestellten Bereich befindet.

Zunächst durchquert das Licht den halbdurchlässigen Spiegel SH1. Auf den beiden Wegen L und R wird es durch normale Spiegel SL bzw. SR so umgelenkt, dass sich die Strahlen an einem weiteren halbdurch­lässigen Spiegel SH2 wieder vereinigen. Die Längen von L und R sind ein wenig verschieden, so dass beim zweiten halbdurchlässigen Spiegel die Phase des den Weg L durchlaufenden Lichts nicht mit der Phase des den Weg R durchlaufenden übereinstimmt und einer der beiden Strahlen durch destruk­tive Interferenz verschwindet. In beide Strahlengänge können wahlweise Photonendetektoren (DL und DR) gebracht werden.

Der Verlauf des Versuchs zeigt folgende – in der üblichen Betrachtung unauflösbare – Absurdität:

Wenn sich die beiden Detektoren nicht in den Strahlengängen befinden, dann beobachten wir nach dem zweiten halbdurchlässigen Spiegel Interferenz, das heißt: Das Photon bzw. die Lichtwelle muss beide Wege genommen haben – sonst wäre Interferenz unmöglich.

Dieses Faktum verdient besondere Beachtung:

Es muss immer in beiden Strahlengängen zugleich irgendetwas unterwegs sein, sonst könnte nicht nach dem zweiten halbdurchlässigen Spiegel immer dann, wenn beide Wege frei sind, Interferenz beobachtet werden.

Wenn wir aber nun die Detektoren in die Strahlengänge einbringen, so spricht immer nur ein Detektor an: da das Photon unteilbar ist, kann es nur (mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils 1/2) entweder den Weg L oder den Weg R entlang laufen.

Auch diesem Sachverhalt gebührt unsere besondere Aufmerksamkeit:

Es ist niemals auf beiden Wegen zugleich irgendetwas unterwegs, da niemals beide Detektoren zugleich ansprechen.

Die beiden Sachverhalte widersprechen einander offenbar.

Wie wird dieser Widerspruch in der Standardinterpretation „gelöst“? Folgendermaßen:

Wenn ein Photon in einem der Detektoren gefunden wird, dann verschwindet das Wellenphänomen im anderen Strahlengang augenblicklich! – es ist gewissermaßen nicht existent, es war nur eine „Wahrscheinlichkeitswelle“, was auch immer das bedeuten mag. (Das ist die sogenannte Reduktion der Wellenfunktion: Eine einzige der wellenartig sich ausbreitenden Möglichkeiten – in unserem Beispiel sind es nur zwei – wird wirklich, und alle anderen verschwinden augenblicklich, gleichgültig, wie weit entfernt sie auch sein mögen.)

Wären diese quantentheoretischen Wahrscheinlichkeitswellen einfach nur Wahrscheinlichkeiten, wie beim Würfeln, dann gäbe es kein Problem – dann würde nichts verschwinden, weil es immer nur eine einzige Wirklichkeit gibt: eben den Würfel auf seiner Bahn, vom Beginn des Wurfs an, und weil die Wahrscheinlichkeit von 1/6 für jede Augenzahl bloß der Ausdruck dafür ist, dass wir diese eindeutige Bahn des Würfels einfach nicht kennen.

Von dieser Art können die quantentheoretischen Möglichkeiten aber nicht sein: Sie interferieren – es gibt Interferenz, wenn keine Detektoren die Lichtwege unterbrechen. Das muss bedeuten, dass in beiden Wegen irgendetwas vorhanden ist. Und was vorhanden ist, kann nicht einfach verschwinden! 

Es verschwindet aber doch. Und damit – so lautet jedenfalls die allgemeine Überzeugung – müssen wir uns abfinden. Das Paradox ist auch nicht dazu erdacht, um etwas zu erklären, sondern dazu, um zu demonstrieren, dass die Natur sich auf eine Weise verhält, die für uns gänzlich unbegreiflich ist.

Aber halt: vielleicht „weiß“ das Photon ja, was wir tun? Wenn die Information darüber, ob die Detektoren in den Strahlengängen sind oder nicht, auf irgendeine Weise am ersten Strahlteiler SH1 vorhanden ist, dann könnte das Photon sich entscheiden, ob es einen Weg nimmt oder beide.

Auch diese selbst schon wenig plausible Vermutung stellt aber keine Lösungsmöglichkeit des Problems dar.

Wir können nämlich die Entscheidung, ob die Detektoren in die Strahlengänge eingebracht werden oder nicht, so lang hinausschieben, bis das Licht bereits den ersten halbdurchlässigen Spiegel durchquert hat, wenn also bereits entschieden ist, ob es nur einen oder ob es beide Wege genommen hat. Alles verläuft dann gleich: Ohne Detektoren beobachten wir Interferenz, mit ihnen aber kein gleichzeitiges Ansprechen, sondern eine statistische Folge abwechselnder Ereignisse in beiden Detektoren. Da aber jetzt die Entscheidung, ob das Licht einen oder beide Wege genommen hat, schon gefallen sein muss, scheinen wir rückwirkend bestimmen zu können, was es tut bzw. getan hat.

Die Standardinterpretation bietet hier nichts an als schöne Worte. Es wird etwa gesagt: „Die Ereignisse können nicht getrennt beschrieben werden. Sie bilden eine Einheit, die erst durch die Messung aufgehoben wird.“

Falls das irgendetwas Sinnvolles bedeuten soll, ist mir diese Bedeutung bis jetzt entgangen. Sätze wie: „Nichts ist ein Ereignis, solange es nicht beobachtet wird“ sind doch bloß Vernebelungen des nicht zu akzeptierenden, absurden Sachverhalts, dass bei dem beschriebenen Paradoxon, nicht anders als bei allen quantentheoretischen Beschreibungen, irgendetwas verschwindet, was seine Existenz durch Interferenz beweist, und dass dieses Verschwinden ohne jede physikalische Vermittlung stattfindet.

Noch dazu soll dieses Verschwinden gleichzeitig mit der Messung erfolgen, also in beliebiger Entfernung ohne zeitliche Verzögerung, wobei auch hierbei nicht klar ist, was das zu bedeuten hat: Würden sich für relativ zueinander bewegte Beobachter die Zeitpunkte des Verschwindens aller Wahrscheinlichkeits­wellen, die nicht wirklich werden, etwa ändern?

Genug der Absurditäten! – Für jeden, in dem noch ein Funke von Vernunft glimmt, sollte klar sein, dass sich die Dinge nicht auf die soeben dargestellte Weise verhalten können. Worum es also geht, das ist einzig und allein, zu entdecken, wo in der scheinbar unauflösbaren Kette physikalischer Indizien schwache Glieder verborgen sind, und dann herauszufinden, wie es sich wirklich verhält.

Als Interpretationsprobleme dieser Art aufgetaucht sind, hätte also Folgendes geschehen müssen:

Jedes der Paradoxa – die alle von gleicher Art sind wie das hier beschriebene – hätte als reductio ad absurdum aufgefasst werden müssen, durch die eindeutig aufgezeigt wird, dass dieser Weg nicht gangbar ist – also genau der, den die Physik leider gegangen ist und der sich inzwischen dogmatisch verfestigt hat.

Stattdessen haben sich die Physiker in den ersten Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts, abgesehen von wenigen rühmlichen Ausnahmen, besinnungslos kopfüber in den Sumpf unlösbarer Verwirrung gestürzt. Sie selbst sahen sich durch ein Netz physikalischer Tatsachen gezwungen – ich aber meine, dass diese Notwendigkeit nicht sachlicher Natur war, sondern dass es sich – genau wie bei all den anderen parallel laufenden Auflösungs­prozessen in der Gesellschaft – um eine Notwendigkeit geschichtlicher Art handelte. Die im Niedergang befindliche Kultur gab das Gesetz des Denkens und Handelns, und alle folgten – aus guten Gründen, wie sie meinten – in Wahrheit aber als bewusstlose Vollstrecker des Unabwendbaren: die Politiker, die Künstler, die Wissenschaftler.

Dort, wo tatsächlich Notwendigkeit in der Sache bestand, im quantentheoretischen Formalismus selbst, der sich bewähren musste und diese Probe zig-tausendfach bestanden hat, dort ist die physikalische Welt in Ordnung – ja, sie ist großartig! Aber im Bereich der Interpretation ist sie nicht mehr als ein Symptom des allgemeinen kulturellen Verfalls.

Das damalige Scheitern der Physik macht es nun uns, den Erben der intellektuellen Katastrophe, zur Pflicht, die Interpretation quantentheoretischer Sachverhalte endlich nachzuholen und die naturwissen­schaftliche Sicht der Welt auf eine vernünftige Basis zu stellen.

Diese Kommentare sind aber nicht bloß hübsche bunte Sprechblasen und billige gute Vorsätze! Ein Lösungsvorschlag für das Zwei-Wege-Paradoxon existiert bereits. Wie nicht anders zu erwarten war, erfordert die Lösung tiefgreifende Änderungen des bestehenden Interpretationsschemas der Quantentheorie, ja der Physik insgesamt. Kurz skizziert lautet diese Lösung folgendermaßen:

Es gibt keine „Photonen“ im üblichen Sinn, d.h. als Teilchen. „Photonen“ sind Namen für Übergänge zwischen zwei Elektronenzuständen, die durch stetige Summationsprozesse von Lichtwellen verursacht werden. Damit ist klar, dass immer in beiden Wegen Lichtwellen unterwegs sind, dass also beim zweiten halbdurchlässigen Spiegel SH2 immer Interferenz auftritt, wenn beide Lichtwege frei sind. Zu zeigen ist, warum immer nur ein Detektor anspricht, wenn sich beide Detektoren in den Strahlengängen befinden. Dies folgt, wie sich herausstellt, aus der Art, wie die Lichtwellen am ersten halbdurchlässigen Spiegel SH1 geteilt werden – jene Lichtwellen also, die dann die Übergänge in den Detektoren auslösen, die als das Erscheinen von „Photonen“ interpretiert werden. Bei dieser Erklärung werden alle Fakten, die zuvor unvereinbar schienen, auf stetige, objektive und lokale Prozesse zurückgeführt, und der Widerspruch, der in der üblichen Beschreibung nicht beseitigt werden konnte, verschwindet vollständig. 

Die Durchführung der Auflösung des Paradoxons findet sich in der Arbeit Lokale und objektive Inter­pretation der Quantentheorie ab Seite 64. Die Lösung stellt eine Anwendung des Schemas dar, das zur lokalen Darstellung verschränkter Photonen entwickelt wurde (ebendort, ab Seite 50.)

Die obige Definition von „Photonen“ steht scheinbar im Widerspruch zur Beschreibung der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie, die auf Einsteins Modell des Lichtelektrischen Effekts zurückgeht. Auch dieses Einsteinsche Modell kann aber auf stetige Wellenphänomene zurückgeführt werden. (Siehe Lichtelektrischer Effekt.)

Wenn man das Schema, mit dem das Zwei-Wege-Paradoxon gelöst werden kann, verallgemeinert und auf die Inter­pretation der Quantentheorie anwendet, dann verschwinden alle Absurditäten. Bekannte Sachverhalte erscheinen so klar und selbstverständlich, dass man es – einmal im Besitz der neuen Sichtweise – immer seltsamer findet, wie die Dinge sich so fatal entwickeln konnten. Wer sich mit den Grundgedanken der Alternativ­interpretation vertraut machen will, dem empfehle ich einen Blick in die Lokale und objektive Interpretation der Quantentheorie; Dort wird das Konzept sowie einige grund­legende Argumente in einfacher Weise vorgestellt.

Über die Chancen dieses neuen Konzepts wird aber wohl weniger seine Eignung bestimmen als der gegenwärtige Zustand der Kultur. Ist er besser als zu Anfang des 20. Jahrhunderts?

Wenig spricht für eine so optimistische Annahme. Nach einem mehr als hundert Jahre währenden Zerstörungsprozess ist die Kulturlandschaft verwüstet. Es gilt das Prinzip: Anything goes! In der Physik zeigt sich das durch Konzepte wie Dunkle Materie oder Dunkle Energie, über die bei kosmologischen Erklärungen hemmungslos verfügt wird, obwohl sie physikalisch kaum begründbare ad hoc Bildungen sind. Die Weiter­entwicklung der theoretischen Grundlagen der Physik ist – durch das interpretative Vakuum führungslos geworden – längst zur affektierten Artistik herabgesunken. Avancierte physikalische Theorien sind nur noch mit spätscholastischen Erörterungen vergleichbar und bezeugen so den Niedergang der theoretischen Physik, die sich selbst – blind für die Brüchigkeit ihrer Fundamente – ihrer Vollendung nahe wähnt.

Ist es möglich, mit Argumenten eine Welt zur Vernunft zu bringen? Wohl kaum. Aber das entbindet nicht von der Pflicht, zu tun, was getan werden muss.

Ist die Welt
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