Alles wird gut!

(Eine einfache, kurze Tragikomödie in zwei Albträumen und einem Traurigen Ende.)


Erster Albtraum

Ein sonniger Abend. Nach einem anstrengenden Tag im Physikalischen Institut sind Sie in Ihrem Motorboot auf dem Meer unterwegs.

Sie stellen den Motor ab, setzen sich in den Liegestuhl und beginnen in Ihrem Buch "How Universes Emerge" zu lesen. Nach einer Weile stört Sie das von den Wellen verursachte Schaukeln. Sie beschließen, mit den Wellen dahinzugleiten. Sie werden einfach Fahrt aufnehmen, bis das Boot die Geschwindigkeit der Wellen erreicht hat, und dann dem Autopiloten das Steuer überlassen. Dann wird es kein Auf und Ab mehr geben und Sie werden in Ruhe weiterlesen können.

Gedacht, getan. Sie geben ein wenig Gas. Es kann nicht lange dauern, bis das Boot schnell genug ist. Gleich wird es so weit sein. Gleich, gleich... Seltsam, nichts ändert sich. Sie spüren zwar die Beschleunigung, aber die Wellen werden nicht langsamer! Was geht da vor? Immer noch rollt Welle um Welle mit unverminderter Geschwindigkeit am Boot vorbei. Sie drücken den Gashebel weiter nach vorn – nichts ändert sich. Vollgas! – keine Änderung. Angsterfüllt sehen sie sich um; Wo befinden Sie sich eigentlich? Sind das wirklich Wellen? Ist das wirklich Wasser? Ist da vielleicht gar kein Ozean? Werden Sie gleich an der Grenze der Welt ins Bodenlose stürzen, wie die Alten dachten?

Schweißgebadet wachen Sie auf.

Zweiter Albtraum

Sie gehen am Ufer des Meeres spazieren. Sanfte Wellenfronten schlagen an die Kaimauer. Um ein paar Bojen herum sehen Sie ein Interferenzmuster in der Sonne glitzern. Sie versuchen sich vorzustellen, wie die Mauer in einigen Jahrtausenden aussehen wird; Wie lange wird sie den Wellen wohl standhalten? Da werden Sie durch ein heftiges Krachen jäh aufgeschreckt: Sie sehen, dass ein großes Stück Beton aus der Mauer herausgeschlagen wurde und davonfliegt. Und kurz darauf dasselbe Geräusch! Wieder fliegt ein Klumpen aus der Mauer. Und wieder. Und jedes Mal, wenn das geschieht, verschwindet eine ganze Wellenfront, so weit Sie sie sehen konnten. Und mit der nächsten Wellenfront passiert dasselbe: Sie schlägt ein Stück Beton heraus und verschwindet gleichzeitig.

Sie werden von Panik und Verwirrung erfasst. Wie schon im ersten Traum fragen Sie sich, was hier eigentlich geschieht. Was zerfetzt die Mauer unter Ihren Füßen? Wird die Erde Sie gleich verschlingen?

Sie erwachen, aber nicht ganz. Halb noch träumend erinnern Sie sich an den anderen Traum, daran, dass da kein wirklicher Ozean war, kein Wasser und keine Wellen, sondern nur irgendetwas Geheimnisvolles, das sich wie eine Welle verhielt. Jetzt begreifen Sie trotz Ihrer Verwirrung, dass auch das falsch ist: Etwas, das sich wie eine Welle verhält, kann niemals solche Stücke aus der Mauer schlagen! Das wäre nur möglich, wenn sich das, was Sie für eine Welle gehalten haben, beim Aufprall auf die Mauer in einen massiven Klumpen harter Materie verwandelte!

Wie kann es aber zuerst als Welle existieren – da waren doch die Interferenzmuster bei den Bojen deutlich zu sehen! – und danach an einer einzigen Stelle zum harten Materieklumpen werden und überall sonst verschwinden?

Es ist quälend. Sie träumen nicht mehr, aber Sie werden auch nicht ganz wach. Sie werden nicht wach ... nicht wach ... einfach nicht mehr wach ... nie mehr wach ....

Trauriges Ende

Sie befinden sich in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie. Von dem Schockzustand, in den Sie der zweite Traum versetzt hat, haben Sie sich nie wieder erholt. Das Geheimnis ist viel zu tief und viel zu verwirrend. Unentwegt murmeln Sie vor sich hin. Mit Mühe erkennt man einige unsinnige Wörter: Komplementarität, Welle-Teilchen-Dualismus, interferierende Wahrscheinlichkeitsamplituden, Reduktion der Wellenfunktion, nichtlokaler Zusammenhang ...  Einige der anderen Insassen nicken verständnisvoll. Aber niemand sonst hat auch nur die geringste Ahnung, was das alles bedeuten soll. ...  Von Ärzten, Schwestern und Pflegern werden Sie liebevoll „unser Superhirn“ genannt – mit einem gewissen Respekt, wegen der Seltsamkeit Ihrer Symptomatik.


Bemerkung für Nicht-Physiker:

Albtraum 1 handelt von der Speziellen Relativitätstheorie. 
(Ozean = Äther; Wasserwellen = Licht; Bootsfahrt = Michelson-Morley-Experiment).

Albtraum 2 handelt davon, dass sich Lichtwellen bei Wechselwirkung mit Materie wie Teilchen verhalten können – jedenfalls gemäß der allgemein akzeptierten Einsteinschen Darstellung des Lichtelektrischen Effekts, und außerdem davon, dass Wellen einfach verschwinden – und zwar immer alle bis auf die eine, die dann zum gemessenen (beobachteten) Ereignis wird. (Seitdem Max Born das Amplitudenquadrat in der Schrödingergleichung als Wahrscheinlichkeitsdichte gedeutet hat, ist dieses Verschwinden unbezweifelter Interpretationsstandard, obwohl die Existenz der Wellen durch Interferenz bewiesen ist.)

Das Traurige Ende beschreibt den bedauernswerten Zustand der Interpretation fundamentaler physikalischer Gegebenheiten seit Relativitätstheorie und Quantentheorie. Nach wie vor ist kein Ende der dadaistischen Phase des physikalischen Weltverständnisses abzusehen. (Dies betrifft aber nicht den formalen Teil der Theorien – am Formalismus von RT und QT kann nicht ernsthaft gezweifelt werden; Nur die Interpretation ist völlig misslungen – oder, um genau zu sein, sie existiert überhaupt nicht.)







zurück